Kapitel IX: Die Zehnte

 

 

Nein, nicht die Zehnte auf die ich gesponnen habe, sondern die zehnte Klasse meine ich. Ein ereignisreiches Jahr, daß kann ich euch jetzt schon sagen. Es fing schon mal gut an. Am ersten Schultag kam ich leider etwas zu spät. Deshalb waren die Anderen so freundlich und hatten mir einen Tisch, ganz für mich, alleine in der ersten Reihe besetzt - Frontkämpfer könnte man sagen. Wie jedes Jahr braucht man natürlich einen der so blöd ist, sich zum Klassensprecher aufstellen läßt. So blöd war, wer schon sonst, natürlich ich. Es machte mir wenig aus den Klassenboss zu spielen, denn ich war es von der dritten und vierten Klasse her so gewohnt, denn da war ich auch schon einmal Klassensprecher. In der ersten Religionsstunde geschah etwas sehr ungewöhnliches. Die Judith und die Steffi setzten sich neben mich und zwar ohne, daß ich sie darum gebeten hätte. Einige aus meiner Klasse schwärmten vom Tanzkurs, die andern von ihren Freundinnen und ich schwärmte von meinem neuen Computer, den ich an Weihnachten bekommen sollte. Alles wie gehabt.

Mit der Zeit begann ich immer mehr für die Judith zu empfinden. Ich war, oder besser, versuchte nett zu ihr zu sein, macht Komplimente und war lustig. Oh nein, werdet ihr sagen, warum zieht der nur immer seine Komikernummer ab? Ganz ehrlich, ich weiß es auch nicht. Irgendwie habe ich den Eindruck, daß würde bei den Mädchen besonders gut ankommen. Leider hat meine Art von Humor bei den Mädchen eine andere Wirkung. Vielleicht sollte ich es doch in Erwägung ziehen, die Mädchen nicht mehr zu verarschen oder keine frauenfeindlichen Witze mehr zu erzählen (Vati läßt grüßen).

In der Schule passierte nichts neues. Schlechte Noten und Ärger mit den Lehrern. Es war kurz vor Weihnachten. Ich war gerade glücklich in die Judith verliebt, als mir die Idee zu einer Weihnachtsparty kam. Mal was neues. Keine wie sonst üblich Silvesterparty, sondern eine Weihnachtsparty. Der Grund für diese Weihnachtsparty war vor allen der, daß an Silvester der Großteil meiner Freunde im Urlaub war. Eine Party ohne Mädels und mit nur acht Personen würde nicht besonders witzig werden, deshalb eine Weihnachtsparty. Ich glaube diese Party war so ziemlich die Beste, die wir je bei mir gefeiert haben. Alle waren da. "Manche fingen auch an zu tanzen, und and’re tranken viel zu viel". Der "Puppenspieler von Mexico" ist schon ein super Song, findet ihr nicht? Ich hatte damals noch keinen Tanzkurs und konnte nur zugucken. Zugucken wie die Judith mit anderen Jungen tanzte, oder wie die Steffi sich bei ihren Tanzfiguren verrenkte. Die Judith zeigte Mitleid mit mir, und brachte mir den Jivegrundschritt bei. Um Gotteswillen, ich und Tanzen. Noch dazu Jive. Nichts gegen Jive, mittlerweile tanze ich Jive gerne, aber der Grundschritt ist als Anfänger der absolute Hammer, finde ich zumindest. Es machte mir Spaß mit der Judith zu tanzen, was heißt tanzen, blöd umeinanderhopsen trifft es eher. Die Party war ein voller Erfolg. Ich glaube nicht, daß sich irgendeiner gelangweilt hat. Das Obercoolste war, daß meine Mutter um zwölf runter in meinen Hobbyraum kam um mitzufeiern. Innerhalb einer halben Stunde war sie gut angeheitert. Um ein Haar hätten wir sie ins Bett tragen müssen. Zum Glück fand sie den Weg auch alleine. Nach diesem Abend machte ich mir auf meine neue Liebe volle Hoffnungen. Es war schön mal auf jemanden anders zu spinnen.

Die Weihnachtsferien waren vom Pech verfolgt. Ich freute mich schon wie ein wilder auf den Tag nach dem zweiten Weihnachtsfeiertag. An diesem Tag, es war ein Montag, sollte nämlich mein neuer Pc kommen. Alles lief einfach wunderbar. Das alte Motherboard wurde ausgebaut und das Neue eingebaut. Der Computer wurde eingeschaltet mit der Erkenntnis, daß er nicht funktionierte. Echt ein tolles Gefühl, wenn sein heißersehntes Weihnachtsgeschenk nicht funktioniert, vor allem dann, wenn es schon zwei Tage später kommt. Also den ganzen Schrott ausgebaut, eingeschickt und eine ganze Woche gewartet bis dann endlich das neue Mainboard kam, welches dann Gott sei Dank auch in Ordnung war. Zum Glück hatte ich dann doch noch vier Tage Zeit zum spielen, bevor die Schule wieder anfing. An Silvester gab es beim Dennis eine kleine Party. Dort lernte ich seine neueste Errungenschaft die Dagi kennen. Sie ist total in Ordnung, auch wenn manche inzwischen anders über sie denken - Dennis läßt grüßen. Wir waren zu siebt, wenn ich mich recht erinnere. Die Dagi, die Verena, die Kathrin, der Basti, der Michi B, Dennis und ich. Einen Silvesterabend läßt man wohl schön langsam beginnen, indem man die Alten auf eine Silvesterparty schickt. Sturmfreie Bude bis zwei Uhr nachts, das kann ja heiter werden. Ganz im Vertrauen, es wurde ein heiterer Abend. Ich als größter Schlechtwitzeerzähler aller Zeiten lief zu Höchstform auf. Jeder zehnte Gag war ein mittlerer Spaß und jeder hundertste ein echter Reißer. Wir verbrachten den Abend mit Gesellschaftsspielen. Natürlich habe ich nicht ein einziges Mal gewonnen den ich bin ja der geborene Gewinner.

Neuerdings bin ich auch als "Natural" bekannt, da ich in meinem Freundeskreis für mein Buch Werbung gemacht habe. Was mich aber am meisten freut, wenn sie mich mit Brain anreden, denn dieser Name ist schon zu blöd, um ernst genommen zu werden.

Um dem Treiben noch eins draufzusetzen schauten wir und im Fernsehen "Diner for one" an. Die Essensauswahl war echt reichlich vielfältig. Es gab über Chips bis hin zum Nudelsalat einfach alles. Ich mit meinen 74 kg Lebendgewicht stopfte einfach alles in mich hinein. Auf dieser Party war es echt lustig. Wir hatten eine mords Gaudi. Um zwölf gab es Sekt und wir verschossen unsere letzten übriggebliebenen Kracher. Wenn man sich halt nicht beherrschen kann und wieder alles vor zwölf Uhr verschießen muß. Es ist jedesmal das selbe. Kaum hat man die Kracher gekauft, verschießt man sie ohne zu denken. Auf die Idee, daß erst in ein paar Stunden das neue Jahr beginnt, kommt mal wieder niemand. Die Schießerei ist für mich immer der Höhepunkt an Silvester. Ich hätte beinahe den Basti mit einem Kanonenschlag in die Luft gejagt. Er rief in dem Moment zu, daß ich keinen Kracher in seine Richtung werfen dürfte, als sich der Kanonenschlag schon auf dem Weg zu ihm befand. Tja, shit happens. Das wäre beinahe ins Auge gegangen, wenn unser Basti kein sehr guter Sprinter sein würde. Er konnte sich gerade noch in Sicherheit bringen, bevor der Kracher losging. Um zwei Uhr wurden die Mädchen leider abgeholt. Verleibt habe ich mich auf dieser Party in keine der Mädchen. War ja auch kein Kunststück, denn die eine ging mit dem Dennis, die andere hat den ganzen Abend eh nicht viel geredet und die letzte im Bunde war verlobt. Um fünf wurden wir dann darauf hingewiesen wie spät bzw. wie früh es sei, und so mußten wir leider ins Bett. Der nächste Tag war tödlich. Ich war fix und fertig. Drei Stunden Schlaf sind halt doch nicht allzuviel. Die restliche Tage verbrachte ich vor meinem Freund dem Pc. Er ist ein wahrer Freund. Er ist immer da wenn ich ihn brauche. Er meckert nicht, er macht keinen Lärm und hat immer dann Zeit wenn kein normaler Mensch Zeit hat z.B. an Feiertagen oder mitten in der Nacht.

Leider fing die Schule nach vierzehn erholsamen Tagen wieder an. In Religion lief alles wie immer ab, ich versuchte nett zur Judith zu sein, und tat mein Möglichstes um ihr zu gefallen. Anscheinend nicht viel genug wie sich später herausstellen sollte. In der ersten Woche nach den Weihnachtsferien fing auch mein erster Tanzkurs an. Oh Freude, ich kann euch nur raten auch einen zu machen, denn wie ich euch schon erzählt habe, sollte man alles in seinem Leben einmal gemacht haben. Es war ein Freitag. Schon in der Schule fing ich an nervös zu werden, als ich mir vorstellte, ich muß zu einem wildfremden Mädchen gehen und sie auffordern. Ein schrecklicher Gedanke, gerade weil ich vielleicht zu fremden Mädchen immer etwas schüchtern bin. Um meine Schüchternheit zu überspielen endet es immer in einem blöden Witz, einem blöden Spruch oder in der totalen Abgedrehtheit von mir. Ich nahm ein heißes Bad, rasierte mich und nahm sogar ein Deo, den wer riecht schon gerne unangenehm, wenn es darum geht, jemanden dazu zu bringen, mit einem Tanzkurs zu machen. Die erste Tanzstunde war die reinste Hölle für mich. Eigentlich der gesamte erste Tanzkurs. In der ersten Tanzstunde mußten wir zum Glück noch keine Mädchen auffordern. Wir hampelten bloß ein bißchen in der Gegend umeinander. Wir lernten den "Blues". Ein echt toller Tanz, zumindest wenn man eine Freundin hat. Die erste Stunde überstand ich gerade noch so. Eine Woche später hätte ich am liebsten mit den ganzen Quatsch aufgehört. Zuerst mußten wir irgendein Mädchen zum Blues auffordern. Danach war Damenwahl. Zum Glück waren weniger Mädchen als Jungen da. Genauer gesagt fehlte nur ein Mädchen. Ich kann euch nur erzählen wie schön es ist , wenn man als einziger Junge nicht von einem Mädchen aufgefordert wird. Doch damit nicht genug. Es kamen in dieser Stunde immerhin noch zwei weitere Damenwahlen. Ihr dürft raten welcher Junge auch diese beiden Male nicht aufgefordert worden ist. Den Heckl Harry meint ihr? Hey, ihr seit richtig gut im Raten. Ja, ich wurde dreimal nicht von irgendeinem Mädchen aufgefordert. Das geht ans Selbstvertrauen und als Selbstwertgefühl, das kann ich euch sagen. Am Ende der zweiten Stunde lernte ich ein nettes hübsches Mädchen kennen. Sie hatte noch keinen Tanzpartner. Sie schien mich nett zu finden. Ich nahm mir fest vor sie gleich nächsten Freitag aufzufordern und zu fragen, ob sie vielleicht Lust hätte mit mir Tanzkurs zu machen. Ich fieberte dem nächsten Freitag entgegen. Ich hielt fest nach ihr Ausschau.

Nächster Programmpunkt: Auffordern einer Dame durch einen Herren. Ich wollte gerade losrennen, als ich sah, daß sie jemand aufforderte. Schön dachte ich, noch ist nichts verloren. Fünf Minuten später war es dann soweit. Ich tanzte mit einem Mädchen gerade an ihr vorbei, als ich die netten Worte "Du hast noch keinen Tanzpartner?" hörte. Worauf sie natürlich sagte: "Nein.". Tja, echt toll. Schöner Mist dachte ich mir, und ganz im ernst, war’s auch. Bei der Damenwahl wurde ich sogar aufgefordert. He, mal ganz was Neues.

Aufgefordert schon, aber nur zwangsweise. Dieses Mädchen sollte rund zwei Jahre später die Freundin vom Basti werden. Heute muß ich zugeben, daß ich mich in ihr getäuscht habe. Diese Person, Silke heißt sie übrigens, hat auf mich damals keinen sehr netten Eindruck gemacht. Ganz ehrlich, ich fand sie doof und eingebildet. Wie schon erwähnt war das damals, und heute komm’ ich echt voll gut mit ihr aus.

Auch dieser Tanz ging vorbei und bei der nächsten Damenwahl war ich wieder einmal der Einzige der übrig blieb. Am anderen Ende des Saals fand sich dann schließlich doch noch ein Mädchen. In echt fand sie unser Tanzlehrer. Er fragte durch sein Mikro, ob noch irgendwo eine Dame alleine sei. Siehe da, es fand sich eine gewisse unterdurchschnittlich gutaussehende Junge Dame. Einen Kopf größer als ich, zaundürr und die Gesichtszüge ließen auch zu wünschen übrig. Mit ihr mußte ich dann ein paar Runden Discofox überleben. Schwer angeschlagen und krankenhausreif bildeten wir schon nach einer extrem kurzen Stunde erneut eine Damen.- und Herrenreihe. Nach einer neuen Schrittfolge im Jive, versammelten sich diejenigen, die schon einen festen Tanzpartner bzw. eine feste Tanzpartnerin hatten am andern Ende des Saals. Ein kleines Häufchen Elend in puncto Optik und netter Charaktere kam mir unter die Augen. Ein grandioser Anblick, daß kann ich nur sagen. Das heißt ein Lichtblick war schon darunter. Dieser Lichtblick stand genau mir gegenüber. Also auffordern. Ich ging schnell zu ihr hinüber und sagte: "Hi, ich bin der Harry, willst Du mit mir tanzen?". Die Antwort kam kurz und bündig: "Der Heckl Harry, oder?". "Ja, eigentlich schon." hörte ich mich mit einem Blick der Verwunderung sagen. Ich dachte mir: "Nein, schon wieder irgendeine Schülerin deines Vaters. Pech gehabt. Vielleicht findest Du ja noch eine andere hübsche Tanzpartnerin.". "Kennst Du mich nicht mehr?". Ich muß wohl sehr komisch geschaut haben. Auf jeden Fall antwortete ich mit einem Nein, denn diese Person hatte ich ganz bestimmt noch nie in meinem Leben gesehen, zumindest glaubte ich das. Allerdings kam sie mir von irgendwoher bekannt vor. "Ich bin die Steffi aus der Grundschule." An diesem Punkt schien der Groschen gefallen zu sein, denn ich hörte ihn am Boden aufschlagen. "Ah, jetzt.", sagte ich. Es war unglaublich wie sich Leute verändern können, wenn man sie sechs Jahre lang nicht gesehen hat. Ich hätte allerdings schon drauf kommen sollen. Ihre Größe hätte sie verraten müssen. Sie schien seit der Grundschule nicht viel an Größe zugelegt zu haben. Wir redeten kaum, da wir uns auf unsere Schritte konzentrieren mußten. Sie machte auf mich den Eindruck, als hätte sie die ganzen Schritte schon drauf. Ich mit meinen drei Tanzstunden konnte da nicht mithalten. Leider war die Tanzstunde nach einem Jive zu Ende. Wenn ich nur nicht so feig gewesen wäre, dann hätte ich sie vielleicht gleich gefragt, ob sie mit mir Tanzkurs machen möchte. Aber ich war ja schon immer ein Held. Also hielt ich mich zurück. Ich wollte sie nächste Woche fragen.

Eine Woche verging, und die vierte Stunde im Tanzkurs nahte. Ich war total nervös, denn ich wollte sie ja fragen. Das Ergebnis könnt ihr euch ja denken. Klein Harry, der Glücksritter, kam wie immer einen Hauch zu spät. Irgendein Volltrottel muß ich schon sagen, hatte sie mir vor der Nase weggeschnappt. Pech? Nein, Schicksal, beziehungsweise mein Leben, denn so geht es mir immer. Also das ganze noch einmal von vorne. Die übriggebliebenen Herren stellten sich vor den übriggebliebenen Damen auf. So sah es also aus, das Elend. Jetzt war eh schon Hopfen und Malz verloren. Ich stellte mich vor irgendeine hin, sagte mein Sprüchlein auf mit dem kleinen Zusatz, ob sie schon einen Tanzpartner hätte. Zu meiner großen Freude, hatte sie noch keinen. Ich hatte echt Glück, denn sie hatte ein sehr bestimmendes Wesen. Ich sah das Ganze von der positiven Seite. Halt, stop, es gab gar keine positive Seite, ich denke ich sollte es anders formulieren. Ich hätte ein zwei Zentner Weib mit 185 cm Größe bekommen können. Ich hatte also Glück, denn sie war kleiner als ich und hatte absoluten Haaridealtyp. Sie hatte kurze schwarze Haare. Bombastisch sag´ ich euch, immerhin schien sie mich "echt" zu mögen. Ich sagte ein echt freundliches "Hi" zur Begrüßung in der fünften Tanzstunde. Mich wundert´s heute noch, daß sie überhaupt zurückgegrüßt hat, aber wie halt. Es schallte mir ein unfreundliches, widerwärtiges "Oh, hi." entgegen, so nach dem Stil: ich habe dich auch bemerkt, leider. Die Hölle konnte nicht schlimmer sein. In ihrer netten Art wieß sich in jeder Stunde nur all zu freundlich darauf hin, daß ich kleinere oder größere Schritte ( je nach Tanz ), eine andere Armhaltung oder gar ein anderes Gesicht machen sollte. Dieser Tanzkurs mit diesem Mädchen war ganz gewiß nicht die Offenbarung, eher die Appokalypse -es war tödlich. Ich freute mich echt sie jede Woche auf´s neue meckern und schimpfen zu hören.

Der Abschuß war dann die Zwischenparty. Ich komme bei strömenden Regen und pitschnaß in der Tanzschule an. Zum Glück waren meine Eltern nicht Hause, sonst hätte mich jemand mit dem Auto gefahren. Zerzauste Haare, ein nasser Pullover und eine dreckige Hose machen keinen sehr guten Eindruck, aber was sollte ich schon anderes tun, man will ja das nette Mädel nicht alleine stehen lassen, nur weil es wie verrückt regnet . Zu Beginn der Zwischenparty, mußten wir drei Tänze tanzen. Dies waren für mich auch die letzten drei Tänze des Abends. Sie wollte danach einfach nicht mehr mit mir tanzen. Irgendwann so gegen acht, nach zwei geschlagenen Stunden des rumsitzens, habe ich sie gefragt, ob Madame vielleicht nicht doch die Güte hätte mit mir zu tanzen. Ihre reizende Art erlaubte es ihr mir ein freundliches "Später" an den Kopf zu werfen. Ich dachte mir dann auch "Du blöde Kuh, hab´ mich doch gern." und nahm mir das Recht heraus ohne ein Wort des Abschieds nach Hause zu fahren.

So hatte ich mir mein Faschingswochenende ganz gewiß nicht vorgestellt. Zuhause angekommen bestellte ich mir eine Pizza und Spaghetti, sah mir Beverly Hills Cop II im Fernsehen an und ließ es mir verhältnismäßig gut gehen. Die nächsten beiden Abende waren um einiges lustiger. Der Florian kam und übernachtete bei mir. Wir hatten echt eine Menge Spaß. Wir machten uns einen gemütlichen Männerabend. Am nächsten Morgen kauften wir uns laute leckere Sachen in der Stadt. Krapfen, Schokolade, Brezen, Hawaiitoast, Bifi, Chips und was man halt sonst noch so für einen erneuten Männerabend braucht. Am Nachmittag fuhr er kurz nach Hause. Es wird wohl so gegen sieben Uhr Abends gewesen sein, als wieder zu mir kam. Als wir und dann Hawaiitoast machen wollten, stellten wir fest, daß wir die Ananasscheiben vergessen hatten. War aber nicht weiter schlimm, denn wir hatten noch genug andere Sachen um uns durchzufüttern. Wir gründeten sogar einen Club, den SCIN. Die Buchstaben stehen für Single-Club-INgolstadt. Wir gründeten diesen Club, weil wir beide zu dieser Zeit keine Freundinnen hatten. Wir redeten über verflossene Liebschaften, d.h. er, denn ich hatte ja noch keine Freundin zu bedauern. Er wollte natürlich wissen, wer mir zur Zeit ganz besonders gut gefällt. Ich sagte ihm aber keinen Namen, denn ich konnte ihm doch schlecht den Namen seiner Schwester sagen, noch schlechter den Namen meiner derzeitigen Flamme, wo er doch vorher noch so schön über sie gelästert hatte. Glücklich waren wir beide nicht, auf gar keinen Fall in Sachen Frauen. Der Abend wurde allmählich depressiv, was heißt der Abend, wir wurden depressiv. Also schauten wir uns unseren Clubfilm an. Unser Clubfilm hatte genau das, was uns noch gefehlt hatte. Er beschrieb das Leben eines Singles. Ein paar von euch kennen bestimmt den Film "Ein Single kommt selten allein" mir Steve Martin. Ein guter Film, ganz besonders dann, wenn man selbst in dieser Lage ist. Ja, der SCIN mit seinen beiden Mitgliedern war ein echt toller Verein.

Mitglieder waren nur der Flo und ich. Irgendwann mitten in der Nacht gingen wir dann doch schlafen. Der nächste Morgen war, wenn ich ehrlich bin, schon ein Mittag. An diesem Nachmittag wollte meine Eltern wieder aus dem Urlaub kommen. Wieso meine Eltern? Nun, mein Vater zog wieder bei uns ein. Ab jetzt war es mit der schönen Zeit wieder vorbei. Jetzt hieß es wieder um Punkt ein Uhr: "Gab´s was in der Schule?".

Man gewöhnt sich ja an alles, auch an blöde Fragen und an blöde Tanzpartnerinnen. Wer aber meint der Abschlußball wäre schöner gewesen der liegt ein bißchen falsch. Er war genauso toll wie die Zwischenparty. Zum Glück war der Basti da, sonst wäre es ein noch langweiligerer Abend geworden. Meine, ach so freundliche und liebenswerte Tanzpartnerin, tanzte mit mir genau sechs Tänze, was eine Steigerung um 50% gegenüber der Zwischenparty bedeutete, und da sag’ noch einer Frauen würden unangenehmen Situationen den Rücken kehren. Aber nicht das ihr jetzt glaubt, es wären freiwillige Tänze gewesen, nein, die sechs Tänze waren Pflichttänze. Da war zum einen der Wiener Walzer am Anfang des Balles, Jive und Rumba im Vorstellungstanz und im Wettbewerb dann noch einmal Jive, Cha Cha Cha und Langsamer Walzer. Ihrer Meinung nach konnte sie so gut tanzen und ich war so schlecht. Tja, weil wir beide so gut waren, schieden wir in der ersten Runde des Wettbewerbs aus. Schade, denn von nun an saß ich auf dem Abschlußball nur noch umeinander, weil meine Tanzpartnerin war seit diesem Zeitpunkt nicht mehr gesehen. Ein echt toller erster Abschlußball. Nachdem ich von ungefähr neun bis halb zwei blöd in der Gegend herumgesessen bin, hatte der liebe Gott, das heißt in Wirklichkeit meine Eltern ein einsehen. Wir fuhren Heim. Im Auto kam dann natürlich das, was kommen mußte, die ultimative Frage ob ich einen schönen Abend verbracht hatte. "Ja Mama, ganz toll." Der Alltag hatte mich am Montagmorgen, zum Glück, schon wieder eingeholt, denn was gibt es schöneres als sich am Montag in der Früh vom Lehrer der ersten Stunde angranteln zu lassen. Irgendwie hatte ich den Eindruck als hätte mich die Judith an diesem Morgen so komisch angeschaut. Zwei Tage später wußte ich auch warum. Der Sturmi hatte sie in der Stadt im "MO" getroffen. Nett wie er nun einmal ist, fragte er die Judith ob sie weiß, daß ich was von ihr will. Sie schien es nicht gewußt zu haben, zumindest schloß ich das im Nachhinein aus ihrem Blick. Das tolle an der ganzen Sache war, das der Michi mich nicht einmal gefragt hatte, ob er sie denn ansprechen darf. Am Dienstag telefonierte ich mit dem Sturmi. Er erzählte mir dann, daß er die Judith gefragt hatte, ob ich ihr denn nicht gefallen würde. Die traurige Antwort könnt ihr euch denken: "Der ist zwar ganz nett, ich mag ihn so ganz gerne, aber mehr ist es eben nicht.". Ein weiteres halbes Jahr der Verliebtheit in den Sand gesetzt. Dieser und die nächsten paar Tage waren nicht toll. Es ist ein grandioses Gefühl in seinem Bett zu liegen und zu heulen, weil einem doch nie eine nachschaut, egal wie man sich benimmt. Ich war am Boden zerstört. Die meisten finden mich zwar auf irgend eine Art nett, aber es fand sich einfach keine die fest mit mir gehen wollte. Erst vor ein paar Tagen, ich spreche von der Gegenwart, habe ich wieder gesagt bekommen, daß ich auf den ersten Eindruck, wie ein totaler Spinner wirke. Ich sollte mich nicht "Verlierer" sondern wie Gonzo aus der Muppet Show "Spinner" nennen. Doch um auf damals zurück zu kommen, die anderen hatten teils schon mit einem Mädchen geschlafen, da hatte ich noch nicht einmal eine Freundin. Es kommt mir nicht auf das schlafen mit einem Mädchen an, aber eine Freundin wäre halt doch nicht schlecht. Es ist vernichtend wenn man mit über 16 Jahren noch keine Freundin gehabt hat. Der Olli, ein guter Kumpel von mir, würde an dieser Stelle sagen: "Ja, übel.". Es war keine schöne Zeit für mich. Es ist nicht leicht eine Niederlage nach der Anderen einzufahren, aber irgendwie mußte es gehen. Ich hätte mir beinahe ein T-Shirt bedrucken lassen. Vorne mit "Heckl..." und hinten mit "...vom Pech verfolgt". Heckl vom Pech verfolgt ist doch ein genialer Spruch, findet ihr nicht. Die Zeit heilt alle Wunden, heißt es. Auf manche Sachen trifft es zu, aber auf keinen Fall auf ein angeknackstes Selbstvertrauen. Ein kaputtes Selbstvertrauen können nur Erfolge heilen. Allerdings sind zu viele Erfolge auch nicht gut, weil man sonst zu einem Höhenflug ansetzt, nicht wahr Lord Helmchen. Lord Helmchen ist der Spitzname eines ehemaligen Freundes von mir. Florian setzte auch plötzlich zu einem Höhenflug an, doch dazu später mehr.

Nach einer kurzen Phase des Selbstmitleids von zwei Wochen ging es dann auch schon weiter mit dem zweiten Tanzkurs. Ursprünglich wollte ich mit der Sieglinde Tanzkurs machen, allerdings hätte ich sie fragen müssen, ob sie mit mir Tanzkurs machen will. Meine innere Stimme sagte mir in der ersten Tanzstunde: "Tu es". Ich hätte es tun sollen, aber ihr kennt mich ja mittlerweile. Ich bin halt in bezug auf Mädchen ein totaler Versager und Feigling. Immerhin brachte ich den Mut auf, sie aufzufordern, es war aber eine schwere Geburt. Wie drückt es die Spider Murphy Gang so treffend aus "Mit´m Frosch im Hals und Schwammerl in die Knie". Genau so bin ich mir vorgekommen als ich sie fragte. Sie sagte ja, aber nach diesem Tanz, ein langsamer Walzer, war mein Enthusiasmus gleich wieder verflogen, als sie bei de Damenwahl einen andern Jungen aufforderte. Ich dachte mir "Zur Abwechslung mal wieder Pech gehabt.". Der zweite Kurs schien ebenfalls unter einem schlechten Stern zu stehen. In der Pause hockte ich mich enttäuscht zu meinem Freund Basti.

Nachdem ich mit mehreren Mädchen getanzt hatte. Dann auf einmal wie aus heiterem Himmel geschah das Unglaubliche. Die Sieglinde drehte sich zu mir um und ihre Stimme trug die absolut phantastische Neuigkeit in meine Ohren: "Hast Du schon eine Tanzpartnerin?". "Nein, habe ich nicht!". "Wenn Du Lust hast, könnten wir doch zusammen...". "Ich ließ sie nicht ausreden und antwortete mit einem dezenten "Ja". Coole Sache Parker, äh, Harry. Ich schien zu träumen noch dazu wo mir die Sieglinde schon seit längerer Zeit gefiel. Das erste Positive was ich je von einem Mädchen erhalten hatte. Leider verliebte ich mich in die Sieglinde, allerdings nicht lange. Auf dem Heimweg redete ich nur noch von ihr und war froh, daß mich mal eine aufgefordert hatte oder noch besser mich gefragt hatte, ob ich nicht gewillt wäre ihr neuer Tanzpartner zu sein. Die nächsten Abende dachte ich nur noch an sie. Ich war ziemlich stark in sie verliebt. Ich wollte unbedingt mit ihr gehen. Also faßte ich einen schweren Entschluß, der allerdings mein Leben stark beeinflussen sollte. Diese Entscheidung brachte mir den gewünschten Erfolg nämlich das was ich schon lange haben wollte, nämlich meine erste Freundin. Allerdings lagen da noch einige Monate harter Arbeit vor mir. Heute bin ich echt froh, daß ich es getan habe. "Was hat er getan?", wollt ihr sicher wissen. Tja, ich beendete meine Freßsucht, hörte auf mit den fünfgängigen Menüs am Abend und versuchte abzunehmen.

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